Freiheit jenseits aller Konzepte
Die Quelle des Seins entdecken
(Aus: PRISMA Magazin, Ausg. Juni/Juli 04)

Das ganze Universum ist frei, unbegrenzt. Aus einem leeren Ursprung, einem alles enthaltenden Nichts, drückt es sich in Millionen Formen und Nicht-Formen aus. Interessanterweise scheint gerade der Mensch, das bisher höchstentwickelte Wesen auf dieser Erde, unfrei und eingeschränkt. Diese Einschränkung besteht aus Ideen, Formeln, Konzepten, Vorschriften, die sich der Mensch durch den denkenden Teil seines Geistes selbst auferlegt hat. Daran haben weder philosophische noch religiöse Lehren, weder politische noch soziale Strukturen oder deren Auflösung etwas ändern können. Weder Revolutionen noch Konter-Revolutionen haben den Menschen frei gemacht.

Ein grundlegender Wesenszug des Menschen ist der Drang, über sich hinaus zu wachsen. Dieser Drang schickt Menschen zum Mond, auf den Mars, in die Tiefen des Meeres, in die Strukturen des genetischen Codes – überall hin, nur nicht in die Freiheit.

Wenn diese Sehnsucht sich spirituell ausdrückt, wird der Mensch zum Sucher und geht auf die innere Reise. Dabei wendet er aus Gewohnheit dieselben Konzepte an wie in der äußeren Suche: das Ergründen von Ursachen, um Wirkungen und Zustände zu verbessern. Der natürliche Seins-Zustand des Menschen – Freiheit – wird dabei übersehen, denn natürliches Sein entzieht sich der Begreifbarkeit durch Erklärungen von Ursache und Wirkung. So liegt bei den meisten Menschen, und seien sie noch so wissend, ihre wahre Natur unerkannt und zugeschüttet unter Erklärungen und Regeln. Diesem Verhalten liegt ein weiteres psychologisches Phänomen des Menschen zugrunde: Angst vor dem Nichts, Angst vor wahrer Freiheit.

Wahre Freiheit hat nichts mit Anarchie oder Nihilismus zu tun. Wahre Freiheit ist weder für noch gegen etwas. Undefinierbarkeit ist die eigentliche Natur allen Seins – auch des Menschseins. Sie hat kein Gesicht, keinen Namen und keine Vorschriften. Kein Mensch hat sie je verloren, sondern nur zugeschüttet mit Ideen und Konditionierungen, die der Erhaltung eines bestimmten Mechanismus dienen: Kontrolle, oft auch „Sicherheit“ genannt.

Seit Jahrtausenden haben Menschen gelernt, dass irgend etwas Furchtbares geschehen könnte, wenn der Mensch einfach so ist, wie er ist – und die Geschichte der Menschheit scheint der Idee Recht zu geben, dass ohne eingrenzende Vorschriften, wie der Mensch zu sein habe, Schreckliches geschieht. Nun, mit diesen Vorschriften offensichtlich auch. Das Versäumnis ist, dass die meisten Menschen nicht tief genug geschaut haben, was es bedeutet, „einfach zu sein“.

Bewusstsein begrenzt sich als "Ich“, um seine grenzenlose Freiheit zu erkennen

Das "normale", persönliche Bewusstsein erfährt sich als "Ich“. Nun wissen wir aus Beobachtung und eigener Erfahrung, dass "Ich“ eine Art Mechanismus ist, der sich im Kindesalter bildet. Es ist ein unvermeidlicher Mechanismus, der zur Arterhaltung und Kommunikation dient. Dieser Mechanismus führt aber in seiner Begrenztheit zu tiefen Missverständnissen. Das eigentliche Missverständnis ist, zu glauben: "Ich bin das, was mir passiert. Ich bin meine (persönliche, ethnische, genetische) Geschichte."

Auf der Basis von "ich und meine Geschichte" versucht der Mensch, seine Umstände und Zustände zu verbessern. Das gelingt oft, und dennoch bleibt eine Menschheit zurück, die sich wieder und wieder frustriert fragen muss: "Was läuft falsch? Warum führt das höchste Wesen der Schöpfung immer noch Krieg und zerstört den wundervollen Planeten, auf dem doch eigentlich alle genug zu essen haben und in Frieden leben könnten?"

Die Antwort ist der Kampf im eigenen Innern, weil die meisten Menschen sich nicht einmal annähernd in Ordnung finden können. Sie jagen einem Idealbild von "wie ich zu sein habe“ nach, das sie in den meisten Fällen nicht einmal selbst geschaffen haben. Wenn Menschen über Freiheit sprechen, dann sprechen sie entweder von der Freiheit, "dies oder jenes zu tun oder zu lassen", oder davon, "endlich von etwas – einer Sache oder Person – befreit zu sein." Das alles hat mit Freiheit nichts zu tun, denn es ist nach wie vor abhängig von bestimmten Umständen. Es ist Teil der Geschichte von Ursache und Wirkung. Während der Mensch sich unablässig mit der Verstrickung in diese Abläufe beschäftigt, übersieht er die wesentlichste Frage: Wer ist eigentlich dieses "Ich“, dem das alles passiert?

Nun, Untersuchungen dieser Frage durch tausende von Suchern zeigen immer wieder, dass es dieses "Ich“ gar nicht gibt, dass sich bei konsequenter Erforschung stilles, grenzenloses Bewusstsein offenbart. Das ist die wahre Natur allen Seins, und kein Mensch ist davon getrennt. Die Wirklichkeit ist nur verhüllt von der Illusion von "ich und meine Geschichte.“

Ich – die größte Illusion

Die Verhüllung entsteht dadurch, dass der Mind * an seiner Wurzel in früher Kindheit den Ich-Mechanismus installiert und durch diesen bestimmte, individuelle "Daseinsgefühle" erfährt. Das "Ich" erfährt sich als ein Subjekt, erfährt sich als getrennt vom Ganzen, weil es auf das Universum als ein "Objekt“ schaut und allem gegenüberzustehen glaubt. In dieser Sicht wird alles zum Objekt, das als erstrebenswert erscheint. Das "Ich-Subjekt" möchte irgendwann alle erstrebenswerten Objekte – materieller und spiritueller Natur – haben . Zwangsläufig hat sich das "Ich" zum Handelnden erklärt und erlebt sich als Betroffener. Es erfährt, dass auch nach der Lektüre und dem Verstehen von Freiheitsideen und Konzepten im Innern immer noch Unfreiheit ist.

Deshalb werden unendlich viele Fragen gestellt. Das "Ich" geht auf die Suche. Dabei eröffnen sich unendlich viele Möglichkeiten zur materiellen oder spirituellen Verbesserung dessen, was wahrgenommen wird. Die meisten Fragen, die Menschen (sich) stellen, operieren von vorneherein innerhalb der Grenzen des Irrtums von "ich und meine Geschichte". Die Fragen verfolgen Ursachen, um Wirkungen zu verändern. Es ist offensichtlich, dass die Antworten auf diese Fragen nicht geholfen haben.

Wenn wir genauer hinsehen, stellen wir fest, dass der Mensch in seiner Sucht nach der Verbesserung von Zuständen und Umständen nur selten wesentliche Fragen stellt, Fragen nach dem wahren Sein, Fragen nach dem Selbst: Wer bin ich?

Jeder, der diese Frage bis zum Ursprung verfolgt, findet Nichts – nicht ein langweiliges Nichts als Gegensatz zu Etwas, sondern ein Nichts, das frei, weit und unbegrenzt IST. Die alten und neuen "Erleuchteten", die Weisen, die Selbst-Verwirklichten berichten übereinstimmend, dass es im Grunde dieses einen Seins, das wir alle sind, NICHTS gibt. Dies zu erkennen wird von einem Gefühl der Glückseligkeit begleitet, und unbegrenzte, bedingungslose Liebe und Mitgefühl offenbaren sich darin. Und doch sind Berichte darüber nutzlos, wenn diese zu Objekten der Begierde eines handelnden Subjekts werden. Das einzig Sinnvolle ist, selbst zu entdecken, dass es "mich und meine Geschichte" gar nicht gibt. Das Mysterium der Freiheit des Seins ist unvorstellbar. Auch die wahren Worte darüber können es nicht beschreiben.

Freiheit ist nicht anstatt Begrenztheit, sondern vor, während, nach und jenseits davon

Heute erwachen mehr und mehr Menschen in die Freiheit ihres Seins. Darin entsteht und vergeht Menschsein als göttliches Spiel des Bewusstseins. Darin erlebt Bewusstsein die Erfahrung vom Menschsein, das begrenzt durch Sterben und Tod dieser Körper-Geist-Form in Erscheinung tritt – daran kann man nichts ändern. Doch man kann (nur!) zu Lebzeiten die Chance nutzen, die Wahrheit zu erkennen. Es ist ein Geschenk der Gnade, dass Bewusstsein sich als Mensch erfahren kann und dadurch diese unerhörte Chance hat, sich selbst zu erkennen. In Wahrheit ist eines klar: Es gibt genauso wenig einen Handelnden wie einen Betroffenen. Du lebst nicht dein Leben – das Leben lebt dich, bedingungsfrei.

Individuelles Menschsein ist begrenzt. Nutze deine Zeit. Verschwende sie nicht zur Erfindung immer neuer Ideen über Freiheit. Deine einzige Freiheit ist, hier und jetzt in diesem Moment zu sein, wer du wirklich bist – unendliches Bewusstsein. Die gute Nachricht ist: Du musst dafür nichts tun oder lassen, denn du bist es schon. Wenn Freisein von Methoden, Ritualen, Informationen oder Umständen abhängig wäre, würde das bedeuten, es gäbe einen Weg durch Raum oder Zeit zurückzulegen, um zum wahren Sein zu gelangen. Da es aber zwischen dir und deinem wahren Sein keinen Abstand gibt, kann es auch keinen Weg geben, um dorthin zu gelangen. Es ist HIER. Der Verstand versteht das nicht, denn er operiert in Zeit-Räumen – er kann nicht anders. Doch tief im Innern weißt du es. Wenn du wirklich frei sein willst, bedingungslos, wird es geschehen. Es wird sich im Bewusstsein offenbaren als das, was immer war, was ist und sein wird. Wer du wirklich bist, ist ewig. In der Grenzenlosigkeit dieses Moments offenbart sich deine wahre Natur – unendlich, grenzenlos, frei.

* Mind ist mit "Verstand" nicht ganz treffend übersetzt, denn im deutschen Sprachgebrauch wird Verstand oft lediglich als rein intellektuelle Geistesleistung oder Denken angesehen. Mind ist jedoch alles, was Signalinterpretation des Körper-Geist-Apparates betrifft, also auch Gefühle, sinnliche Wahrnehmung etc.